Prof. Laura Ruiz Ferreres mit KursteilnehmerInnenWorkshops in Trossingen
„Der Körper ist das Instrument.“


Trossingen - Üben, üben, üben – und dabei schön locker bleiben. Die Teilnehmer der Fortbildung des Tonkünstlerverbandes Baden-Württemberg erlebten im idyllischen Trossingen, wie das geht: dank eines lebendigen Kursunterrichts und gesundheitlichen Rahmenprogramms.

Schon Aristoteles wusste: Auf das richtige Maß kommt es an. Die Balance zwischen einem Zuviel und Zuwenig zu finden, ist jedoch nicht immer einfach – sei es in der Musik oder im Alltag. Die viertägige Fortbildung des Tonkünstlerverbandes Baden-Württemberg mit Kursen für Klavier- und Klavierduo, Violine, Gesang, Klarinette und Klavierimprovisation setzte deshalb in diesem Jahr nicht nur musikalische Akzente. Mit einem gesundheitlichen Rahmenprogramm, das Veronika Schneider von der Klinik für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) Bad Kötzting gestaltete, wurden die Musikerinnen und Musiker zu einem bewussten Lebenswandel ermutigt.

Qigong am frühen Morgen
„Ein gesundheitsfördernder Lebensstil beginnt mit Ihrer eigenen Entscheidung“, verdeutlichte Schneider während ihres Vortrags über „Individuelles Gesundheitsmanagement“. Dass unter anderem ausreichend Bewegung und eine ausgewogene Ernährung wichtige Schutzfaktoren sind – da waren sich alle schnell einig. „Neben der richtigen Einstellung ist jedoch auch das Wissen um die eigene Konstitution und potentielle Risiken entscheidend“, erklärte die Expertin. Mit dem 6-Minuten-Gehtest und einer webbasierten Gesundheitsprüfung hatten Interessierte deshalb die Möglichkeit, ihr persönliches Risiko-Schutzfaktoren-Profil für Diabetes, Burnout oder Herz-Kreislauferkrankungen zu erstellen. Doch wie Gesundheit praktizieren? Zum Beispiel mit Akupressur oder Qigong, einer chinesischen Meditations- und Bewegungsform. Die Musiker starteten unter Anleitung von Veronika Schneider mit den vitalisierenden und entspannenden Übungen in den Tag – und konnten sich anschließend umso entspannter der Musik widmen.

Fantasie, Mut und Erfahrung
Dass es auch beim Klavierspielen auf die richtige Körperhaltung ankommt, verdeutlichten Hans-Peter und Volker Stenzl, die international zu den besten Klavierduos zählen. Neben ihren jeweiligen Professuren in Stuttgart und Trossingen haben sie an der Hochschule für Musik und Theater Rostock gemeinsam den weltweit einzigen Lehrstuhl für Klavierduo inne. „Der eigene Körper ist das Instrument, nicht das Klavier“, erklärte Hans-Peter Stenzl den Kursteilnehmern während des täglich stattfindenden „Piano Specials“. „Das aufrechte Sitzen ist die beste Ausgangsposition, der Atem muss frei fließen.“ Aus der körperlichen Stabilität heraus gelinge es, freier zu agieren und damit leichter den eigenen künstlerischen Ausdruck zu finden. „Der Fokus darf nicht auf der mechanischen Realisation des Notentextes liegen. Vielmehr gilt es, eigene Ideen zu reflektieren und sie musikalisch zum Blühen zu bringen.“ Dazu gehörten Fantasie, Mut, Erfahrung – und ein hohes handwerkliches Können. Daran übte auch Klavierschüler Bernhard Schilpp. „In jungen Jahren habe ich virtuos Geige gespielt“, sagte der 66 Jahre alte Diplomingenieur für Elektrotechnik. „Nun möchte ich pianistisch weiterkommen.“ Um die von ihm favorisierte Literatur – Werke der Romantik – feinfühlig spielen zu können, habe er es sich zur Aufgabe gemacht, mithilfe der Fortbildung in Trossingen seine technischen Fertigkeiten zu verbessern. „In der Schulter, den Armen und Fingern bin ich noch nicht locker genug. Meine Bewegungen müssen insgesamt runder und sanfter werden.“

Im Vergleich zum solistischen Spiel erhöhen sich für Klavierduos noch einmal die technischen Anforderungen, wie Volker Stenzl erklärte: „Klavierduo ist die schwierigste Form des Zusammenspiels. Der Anschlagspunkt eines Klaviers ist äußerst präzise und erfordert deshalb von den Spielpartnern ein hohes Maß an Synchronität bei gleichzeitiger Flexibilität.“ Viele gemeinsame Übungsstunden mache auch die meist äußerst anspruchsvolle Literatur notwendig. Als Schüler von Hans-Peter und Volker Stenzl wissen Hana Lee und Alessandro Palumbo, die seit sechs Jahren als Klavierduo spielen, um diese Schwierigkeiten. „Aufgrund unserer unterschiedlichen solistischen Ausbildung haben wir manchmal verschiedene Ansichten, was die Interpretation des Stücks betrifft“, sagte Lee. „Dann müssen wir zu einer Synthese finden.“ Gleichzeitig berge Diversität die Chance zur Komplexität, wie Palumbo erklärte: „Hana ist im Bereich der Kammermusik tätig, ich dirigiere. Jeder bringt seine Erfahrungen mit ein.“ Trotz der kreativen Brillanz sei es für Klavierduos nicht immer einfach, auf dem Markt Fuß zu fassen, erläuterte Volker Stenzl: „Die Fördergelder haben abgenommen, obwohl Deutschland gerade im Bereich Musik für zahlreiche Ausländer der attraktivste Studienstandort ist.“

Persönliche Klangsprache
Auch Jing Peng hat sich für ein Musikstudium in Deutschland entschieden. Der chinesische Klarinettist, der im Juli seinen Master an der Universität der Künste in Berlin absolviert, möchte sich in Frankfurt am Main für das Konzertexamen bewerben. „Hier in Trossingen habe ich die Möglichkeit zu erfahren, welche Qualität ich dafür aufweisen muss“, sagte er. „Außerdem gewinne ich viele neue Freunde.“ Gemeinsam mit Dozentin Laura Ruiz Ferreres, Professorin für Klarinette an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, feilte er daran, über längere Passagen die Spannung zu halten. „Meine Kursteilnehmer spielen alle bereits auf hohem Niveau“, freute sich Ruiz Ferreres. „Deshalb geht es mir vor allem darum, ihnen zu einer persönlichen Klangsprache zu verhelfen.“ Grundlage dafür sei nicht zuletzt eine gezielte Atmung, die sie gemeinsam mit ihren Schülern im Garten der Bundesakademie trainierte.

„Atemtechnik“ stand ebenso auf der Agenda von Ulrike Sonntag, Professorin für Gesang an der Musikhochschule Stuttgart. Da sie mit einer heterogenen Gruppe arbeitete, kamen – je nach Bedarf – sowohl grundlegende Fragen zu Stimmsitz, Ansatz, Resonanzgefühl und Artikulation zur Sprache, aber auch die Interpretation von Opernarien und Kunstliedern sowie das Thema Bühnenpräsenz. Bei alldem galt: Methodenvielfalt. „Die Singstimme ist das individuellste Instrument, das am Anfang einer Gesangsausbildung mithilfe der Stimmbildung erst noch aufgebaut werden muss“, sagte Sonntag. „Meine Aufgabe als Gesangspädagogin ist es, in diesem Rohzustand den Brillanten zu entdecken und Entwicklungen der Stimme voraussehen zu können.“ Voraussetzung hierfür sei ein äußerst analytisches Gehör – und jede Menge Erfahrung. Von Ulrike Sonntags Kompetenzen profitierte unter anderem Verena Knirck, die im achten Semester Gesang studiert. Vor zwei Jahren wechselte sie in ein höheres Stimmfach. „Ich erhalte zwar an der Hochschule viel Input von meinen Professoren“, sagte die Sopranistin. „Dennoch ist es mir wichtig, eine zweite Perspektive auf meine Stimme und neue technische Anregungen zu erhalten.“   

Klingende Gemälde
Einen zweiten Blick auf das eigene künstlerische Können holte sich auch Student Sören Bindemann von seinem Dozenten Stefan Hempel, Professor für Violine an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. „Im Studienalltag ist es oft nicht möglich, sich so intensiv und detailliert auf das Geigenspielen zu konzentrieren wie hier in Trossingen“, sagte Bindemann. „Zudem ist es für mich eine wunderbare Gelegenheit, Professor Hempel kennenzulernen. Von der Arbeit mit ihm werde ich auch in Zukunft noch profitieren.“ Auch Stefan Hempel sah in der Fortbildung die Chance, neuen Schülern und damit verschiedenen Persönlichkeiten mit unterschiedlichen musikalischen Ansätzen zu begegnen. Nicht zuletzt deshalb wollte er von „typischen Fehlern“ oder der „einen, richtigen Interpretation“ nicht sprechen: „Die Interpretation eines Werkes ist etwas sehr Individuelles“, sagte er. Seine Aufgabe bestehe insbesondere darin, die Schüler auf Schwachstellen oder Widersprüchlichkeiten in der Auslegung hinzuweisen. „Wichtig ist die Geschlossenheit in der Person.“

Ganz im Zeichen von künstlerischer Freiheit und Kreativität stand der Kurs „Klavierimprovisation“ von Eva-Maria Heinz. Dissonanzen erproben, Harmonien suchen, Klangteppiche entwickeln – der Fantasie waren dabei keine Grenzen gesetzt. Doch wie die zündende Idee finden? „Hierzu gibt es zahlreiche Möglichkeiten“, erläuterte Heinz und hatte eine davon im Gepäck: Tierfiguren-Fingerpuppen. Die waren variabel einsetzbar, wie die Teilnehmer zeigten. Während einige ein Krokodil oder Zebra musikalisch gestalteten, bildeten andere eine ganze Geschichte auf dem Klavier und mit Perkussionsinstrumenten nach. Auch Gemälde oder Stimmungen brachten sie zum Klingen. Zudem stand die didaktische Vermittlung auf dem Kursprogramm, zum Vorteil von Klavierlehrerinnen wie Beate Egerter. „Meine Improvisationen waren bislang eher unsystematisch“, sagte sie. „Nun habe ich Werkzeug an die Hand bekommen, das ich auch für meinen Unterricht nutzen werde.“ Dabei zeigte Heinz, dass das Spielen aus dem Moment sowohl für Anfänger als auch für Fortgeschrittene geeignet ist: „Die Pentatonik gehört beispielsweise zu den basalen Variationsmodellen, Musik im Stil von Johann Sebastian Bach zu kreieren, setzt hingegen schon einiges an Fähigkeiten voraus“, sagte die Dozentin, deren eigene künstlerische Liebe einem der ältesten besaiteten Tasteninstrumente, dem Clavichord, gilt.













Großartige Konzerte
Während des Dozentenkonzerts stellte Eva-Maria Heinz das Clavichord dem Publikum anhand der „Orgeltabulatur“ von Leonhard Kleber sowie den „Metamorphosis“ von Philip Glass vor. Damit demonstrierte sie, dass nicht nur Musik der Renaissance, sondern ebenso Werke der neuen Musik auf dem historischen Instrument wunderbar klingen. Auch die international renommierte Klarinettistin Laura Ruiz Ferreres entlockte unter Begleitung von Yukako Morikawa mit der „Fantasia sobre Goyescas“ von Albert Guinovart und Enrique Granados ihrem Instrument moderne Töne. Ebenso Violinist Stefan Hempel: von Naaman Wagner auf dem Klavier begleitet, intonierte er das äußert expressive und virtuose „Poème élégiaque“ des belgischen Komponisten Eugène Ysaÿe und lotete dabei die emotionale Bandbreite gekonnt aus. Zartere Klänge schlug das Klavierduo Hans-Peter und Volker Stenzl an: sie faszinierten im vierhändigen Spiel mit Claude Debussys „Petite Suite“. Am dritten Abend der Fortbildung wechselten die Dozenten ins Publikum – und lauschten während des Teilnehmerkonzerts ihren Schülern. Positive Resonanz und Tipps für den letzten Schliff gab es am nächsten und damit letzten Vormittag.


Text: Christina Pfänder

 

Zum Seitenanfang
Die Website dtkv.net kann für Ihren Komfort Cookies verwenden. Sind Sie damit einverstanden?
Ich möchte weitere Informationen. Ja, ich bin damit 30 Tage einverstanden. Bitte keine Cookies verwenden.